Josef Ruhland | 5. 3. 2024

Quelle: 1306 Tage in jugoslawischer Gefangenschaft, verfasst von Josef Grüblinger (1990).

Zitierungen (oft gekürzt) und kursiv.


Der Nord-Süd - Weg der Aufklärungs-Abteilung 68 (Radfahr-Btl. 68) führte während des 2. Weltkriegs von "ganz oben nach ganz unten" und zurück vom Peloponnes bis 3 km vor die österreichischen Grenze: Dort wurde Josef Grüblinger im Mai 1945 gefangen genommen - erst im Dezember 1948 betrat er als Heimkehrer wieder österreichischen Boden.

 

 1945 - 1948: 1306 Tage jugoslawische Gefangenschaft

 


9. Mai 1945: Gefangen oder doch noch frei?

Mai 1945: Gefangennahme 3 km vor Bleiberg (Skizze Grüblinger)
Mai 1945: Gefangennahme 3 km vor Bleiberg (Skizze Grüblinger)

Bewaffnete Jugendlich in Zivil, nur durch Armbinden gekennzeichnet, zwangen am 9. Mai die deutschen Soldaten zum Abgeben ihrer Waffen. Obwohl entwaffnet zogen Tausende deutsche Soldaten, teilweise noch motorisiert, weiter in Richtung österreichische Grenze. Die Lage war verworren:

Es war fatal: Niemand wusste , was los war, und erst recht nicht, wie es weitergehen sollte. Ein Gerücht jagte das andere. Kaum ein Vorwärtskommen auf der Straße. Zu beiden Seiten der schmalen Straße stehende und gehende Soldaten, dahineilende bewaffnete Ustaschi, reitende Kosaken. Vor uns, in Richtung österreichische Grenze ratternde MG, schießende Flak, einzelne Gewehrschüsse, abends Feuerzauber der Titoleute mit Leuchtmunition.

Dazu die bange Frage: Bleiben oder versuchen, über die Grenze nach Österreich zu kommen?

 

 

Grüblinger war sich mit seinen Kameraden vom Stab einig, dass sie nicht gefangen genommen, sondern bloß kurze Zweit interniert werden würde. Der Krieg war ja längst zu Ende gegangen...
Die Soldaten vom Stab der Aufklärungsabteilung 68 entschieden sich fürs Bleiben. Doch sie wurden nicht interniert, sondern mussten als Kriegsgefangene Jahre am Wiederaufbau Jugoslawiens mitarbeiten.

 


Arbeitseinsätze auf dem Weg nach Belgrad

Auf dem Weg nach Belgrad (Skizze: Grüblinger)
Auf dem Weg nach Belgrad (Skizze: Grüblinger)

Wegen der Lebensmittelknappheit im heutigen Slowenien und Kroatien wurden die Kriegsgefangenen immer weiter Richtung Belgrad gebracht. Zwischen endlos langen Märschen wurden die Gefangenen auf großen Gutshöfen in der Landwirtschaft oder in den Waldgebieten zur Holzgewinnung eingesetzt.

 

Zu Tausenden wurden wir vorwärtsgetrieben: Ich war mitten drinnen, eher gegen das Ende. Die wenigen Posten waren hart und grausam. Wer zu einem Haus rennen wollte, wurde geschlagen; Zivilisten, die Wasser anbieten wollten, wurde durch den Kübel geschossen.

Viele hatten sich Gehstecken ergattert. Auf einmal hieß es: Alle Stöcke auf einer Stelle der Straße wegwerfen. Daneben stand ein berittener Partisan, der uns drüber jagte. Viele hatten nur noch einen Schuh, manche mussten schon barfuß gehen, andere konnten einfach nicht mehr.

Viele, die nicht mehr weiterkamen, wurden von den Posten erschossen. Es galt: Nur nicht bei den ganz Letzten sein!

 

 

 

Am Weihnachtsabend 1945 wurde der Großraum Belgrad erreicht

Ein Abend voller Ungewissheit: In Gedanken war jeder zu Hause, doch nie­mand wusste, wie es den Angehörigen geht.  Dass wir erst in drei Jahren entlassen werden – das nur zu denken, schien verrückt 


Im Österreicherlager Sajmište - Fragen nach dem Sinn

Der betonierte Rundbau des Lagers mit dem Messeturm dahinter (1946).
Der betonierte Rundbau des Lagers mit dem Messeturm dahinter (1946).

Von Jänner 1946 bis Juli 1947 war Josef Grüblinger mit rund 1.000 Österreichern im Lager Sajmiste untergebracht, das in den ausgehenden 1930er-Jahren als Messegelände gebaut und von 1941 - 1945 zum KZ Semlin umfunktioniert worden war.

 

Auf den Pritschen hatte jeder zum Schlafen 51 cm Platz. Als Liegeunterlage dienten Zementsäcke. Die Gefangenen wurden beim Wiederaufbau des durch Bomben zerstörten Hauptbahnhofes von Belgrad eingesetzt.

 

Grüblinger stellte sich hier oft die Frage nach dem Lebenssinn: 

 

Falls einer flüchtet und nicht zurückkommt, wird einer von uns erschossen. Ich fragte mich: Sollte nicht ich mich in so einem Fall freiwillig melden? Ja, wäre ich denn überhaupt dazu bereit? Monatelang beschäftigte mich diese Frage.

Eine weitere Frage war: Kann ich das Ordensleben, zu dem ich mich sei­ner­zeit verpflichtet habe, überhaupt noch führen? Das war damals ein Lossagen ‚von der Welt‘. Und ich lebe jetzt schon seit Juli 1939 wieder mitten ‚in der Welt‘ ...

 

Josef Grüblinger war ja Ordensbruder, hatte sich auch als Soldat immer als Ordensmann gefühlte - doch als solcher geoutet hatte er sich während Krieg und Gefangenschaft nie. 

 

Ganz rechts Josef Grüblinger (1948) als Mitglied der Lagerleitung.
Ganz rechts Josef Grüblinger (1948) als Mitglied der Lagerleitung.

Nachdem im Sommer 1947 der Wiederaufbau des Bahnhofes abgeschlossen war, wurden die Gefangenen zu Arbeitseinsätzen (Autobahnbau und Holzgewinnung) zwischen Save und Drau eingesetzt.

Lagerkommandos durften inzwischen die Abläufe selbst organisieren, Grüblinger verglich das Arbeiten und Leben in diesen Kommandos als eine Art Dorfgemeinschaft:

 

Manch einer war zu Hause Holzknecht oder gar Zimmer­mann; das kam allen zugute. Es arbeitete der Arzt mit und auch wir von der Kanzlei an manchem Halbtag. Es gab einen fleißigen Wäscher im Lager und einen Friseur...

 

Jeder wusste, dass nun endlich das Ende der Gefangenschaft nahte ...


6. Dezember 1948: Heimkehr

Heimgekehrt: Rieder Volkszeitung (30. 12. 1948)
Heimgekehrt: Rieder Volkszeitung (30. 12. 1948)

Am Freitag, den 3. 12. 1948 bestieg Grüblinger den Viehwaggon, mit dem er tags darauf Österreich erreichte. Am 6. 12. 1948 sah er zum ersten Mal seit Juni 1942 in Kopfing seine Mutter wieder.
Akademie) - er war einer der letzten Kopfinger Heimkehrer. 

 

Zum Schluss fügt Josef Grüblinger an: Ich bin glücklich, sagen zu können: Ich danke Gott, der alles so gefügt hat. Ich möchte diese Zeit nicht missen!